Kolloideigenschaften sind messbar

Kolloide sind seit mehr als 100 Jahren Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen. Bereits damals gab es umfangreiche Veröffentlichungen zum Thema Bodenkolloide in der Landwirtschaft. Ein Motor dieses bodenkundlichen Fortschritts war seinerzeit der Zwang zur Urbarmachung von Moorflächen mit ihren extremen Humusgehalten und den damit verbundenen beachtlichen Schwierigkeiten insbesondere bei Hochmooren.

Fachlich ausgedrückt sind die hier betrachteten Kolloide makromolekulare Elektrolyte bzw. Polyelektrolyte.

In kolloidaler Lösung befindliche Kieselsäuren und Huminsäuren können als riesige, negativ geladene Anionen aufgefasst werden, an die sich kleine, positiv geladene Kationen wie Protonen, Kalium, Ammonium, Calcium etc. etc. anlagern bzw. sich in einer Art Ladungswolke in der Nähe des Kolloidpartikels befinden.

Die räumlichen Verteilungen von ionischen Ladungen im Umfeld unserer Kolloidteilchen werden dabei durch das Modell der elektrochemischen Doppelschicht beschrieben, auf dem verschiedene Kolloidmessverfahren beruhen.

Eine vergleichsweise einfache Messmethode zur Charakterisierung von Kolloiden ist dabei das Strömungspotentialverfahren (z.B. der Fa. Colloid Metrix/Meerbusch).

Vorgestellt wird hier das Ergebnis der Untersuchung einer rein humosen Hochmoor-Schwarztorf- Probe (pH 4,3) mit hohem Kolloidgehalt hinsichtlich der

A, Abhängigkeit der Kolloidstabilität vom pHWert (Diagramm 1)

B, Abhängigkeit der chemischen Speicher-/Pufferkapazität des Kolloids vom pH-Wert (Diagramm 2)

Diagramm 1: Kolloidstabilität

Diagramm 1: Kolloidstabilität

x-Achse: pH-Wert
y-Achse: Stabilität des Kolloids = „Löslichkeit“ des Kolloids
Blauer Kurvenzweig: saure Titration des Ausgangsmaterials mit HCl
Roter Kurvenzweig: alkalische Titration des Ausgangsmaterials mit NaOH

Das negative Vorzeichen des Stabilitätsparameters weist auf den anionischen Charakter der Kolloidteilchen hin.

Der Punkt höchster Stabilität * ist beim Kurvenminimum gegeben: pH 9,5 (alkalisch). Hier ist das Humuskolloid in einzelne Huminsäure- Makroanionen aufgespalten (keine Verklumpung).

Ein ausreichend stabiler kolloidaler Zustand liegt nur in einem bestimmten pH-Bereich vor. Bei zu hohen oder niedrigen pH-Werten ballen sich die Huminsäure-Moleküle wieder zusammen und können sogar ausflocken (siehe Kapitel "Agro-Kolloide selbst herstellen").

Diagramm 2: Speicher-/Pufferkapazität

Diagramm 2: Speicher-/Pufferkapazität
x-Achse: chemische Aktivität/Puffervermögen
y-Achse: Stabilitätsparameter des Kolloids wie bei Diagramm 1

Zur Prüfung der chemischen Puffer-/Speicherkapazität lässt man das Kolloid nun mit einer kationischen Eichsubstanz reagieren. Das Erreichen der Grenze der Pufferkapazität wird durch den Anstieg des (negativen) Stabilitätsparameters auf 0 angezeigt.

Es werden zwei Kurven aufgenommen:
Blaue Kurve bei pH 4,3 (originale Moorprobe)
Rote Kurve bei pH 9,5 (= höchste Kolloidstabilität)

Die Puffer-/Speicherkapazität der Humusprobe ist im alkalischen Bereich wesentlich größer als im sauren Bereich.
Faktor 7-8 bei pH 9,5 gegenüber der originalen Moorprobe.

Humuskolloide bei verschiedenen pH-Werten

Humuskolloide bei verschiedenen pH-Werten

  • Hochmoor-Schwarztorf Kendlmühlfilzen/Chiemseemoore, Regenwasseraufschwemmung, sedimentiert, pH 4,3
  • Hochmoor-Schwarztorf wie A, jedoch auf pH 9,5 eingestellt
  • Mineral-Leonardit in Regenwasser aufgeschwemmt, sedimentiert, pH 6,4
  • Mineral-Leonardit wie C, alkalisch eingestellt auf pH 9,5

Erklärung

Im Ausgangszustand reagieren sowohl Hochmoor- Torf (A) und Leonardit (C) sauer und die nur geringe Löslichkeit überrascht daher nicht. Das meiste Material ist sedimentiert.

Im alkalischen Bereich wird die Humussubstanz jedoch in wesentlich kleinere Teilchen aufgespalten (makromolekulare Huminsäuregruppen), die Humus-Kolloide bleiben in Lösung (B Torf, D Mineral- Leonardit).

Humuspräparate wie „flüssiger Humus“ werden im Hinblick auf möglichst hohe Stabilität und Reaktivität des Kolloids daher in Form alkalischer Auszüge aus Leonardit hergestellt (wobei im Falle von Mineral-Leonardit u.a. auch Kieselsäuren/Silikate beteiligt sein können).

Mineralkolloide

Die in dieser Kurzabhandlung beschriebenen Mineralkolloide aus Gesteinsmehlaufschwemmungen zeigen hinsichtlich Stabilität und Puffervermögen ein ähnliches pH-wertabhängiges Verhalten wie die obigen Huminsäuren/Humate) mit erhöhter chemischer Wirksamkeit im alkalischen Bereich.

Kolloide aus Mikroorganismen, Biofilme

Auch Mikroorganismen weisen in wässriger Umgebung auf ihrer Oberfläche ionische Kolloideffekte auf, weswegen sie nicht ganz unerwartet eine deutliche Affinität zu Kolloiden in Böden, Kompost, Gülle, Pflanzenjauchen etc. haben.

Reale Verhältnisse

Da Mutter Natur in den Böden etc. unterschiedlichste Materialien und Prozesse mit zum Teil gegenläufigen Reaktionsverhalten (z.B. anionische und kationische Kolloide) unter einen Hut bringen muss, folgt sie meist einem Kompromiss:

Agrarböden etc. arbeiten am besten in einem relativ engen Bereich um den Neutralpunkt pH 7.